Montag, 29. Februar 2016

Die unerträgliche Leichtigkeit des Meinens

Vorsicht! Diese Gedanken sind unzeitgemäß. Sie sind überspitzt, erscheinen in ihrem Anspruch naiv und sind möglicherweise gerade hier unangebracht. Oder doch nicht?

In Zeiten, in denen nichts ungesagt und nichts unveröffentlicht bleibt, herrscht kein Mangel an Meinungen. Kaum etwas bleibt unkommentiert, nichts ungepostet. Terabytes an Meinungen stolpern durch die Datenleitungen, füllen unsere Bildschirme, erhitzen unsere Köpfe und pressen unser wallendes Blut wieder zurück in den ächzenden Kreislauf des Datennetzes. Haben wir dadurch mehr Meinungsvielfalt? Standhaftere Charaktere? Eine couragiertere und konstruktivere Zivilgesellschaft? Es erscheint mir zumindest fraglich. Denn im Kreuz- und Querschreien der Meinungen wird kaum noch etwas gehört.

Wie viel Mühe nehme ich auf mich, um eine andere - vielleicht sogar radikal andere - Meinung zu verstehen, ehe ich den eigenen Standpunkt in die Tastatur hämmere? Von welchen Fakten gehe ich aus? Habe ich sie überprüft? Habe ich meinen Gedankengang kritisch in Frage gestellt - seine Folgerichtigkeit, die Voraussetzungen, von denen er ausgeht, und wohin er führt? Habe ich zumindest versuchsweise die Gegenposition eingenommen und auch diese geprüft – ihre Folgerichtigkeit, ihre Prämissen, ihre Folgen? Mag sein, dass ich bei meiner Meinung bleibe. Mag sein, dass ich sie verwerfe. Mag auch sein, dass sie mir fragwürdig wird, und ich sie noch zurückhalte. Ganz sicher verliere ich so Zeit im minutenschnellen Wettstreit der Meinungen. Aber ich gewinne Qualität und Wertschätzung in der Auseinandersetzung.

Das ist kein Plädoyer für das Verstummen. Und es ist schon gar kein Plädoyer für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. In einer demokratischen und offenen Gesellschaft gibt es keine rechtmäßige Instanz, die über die zulässige Qualität einer Meinung entscheiden kann. Das liegt allein in der Verantwortung jedes Einzelnen. Insofern ist es ein Plädoyer, das sich ausschließlich an den Einzelnen richtet. Es ist ein Plädoyer dafür, innezuhalten, zuzuhören und verstehen zu wollen.

Meinungsfreiheit kann auch bedeuten, auf einen Kommentar zu verzichten. Weil ich dem anderen Raum geben möchte, um ihn besser verstehen zu können. Weil ich meine Pflicht einlösen möchte, mich vorher zu informieren, bevor ich mein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehme.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Die Obergrenze und der freie Fall

Es ist erstaunlich, wie gut es dem bisher noch unbegrenzten Flüchtlingsproblem gelingt, die Grenzen von Intelligenz und Charakter der politischen Akteure offenzulegen. Da stopfen erwachsene und gewählte bzw. ernannte Bürger auf offener Bühne ihre Sprechblasen in dermaßen verbogene Redewindungen, dass dem Zuhörer vor lauter Unsinn der Kopf zu schmerzen und die Haut zu jucken beginnt. Da sitzt eine auf die Verfassung vereidigte Ministerin in einem Fernsehstudio, die allen Ernstes die »juristische Seite beiseitelassen« und nur auf die Fakten schauen möchte – und schaut dann haarscharf an den Fakten vorbei. Neben dem humanitären Aspekt gibt es drei wesentliche Gründe bzw. Fakten, warum diese Obergrenzen-Rhetorik einen Tiefpunkt der kulturellen Entwicklung darstellt.

Erstens: Realitätsferne. - Die Regierung agiert wie eine Wohngemeinschaft, die im Badezimmer einen Rohrbruch feststellt und die Tür zumacht, damit das Wasser nicht ins Wohnzimmer rinnt. Dort ist’s nämlich noch recht trocken und gemütlich. Der einzige Sinn einer Obergrenze – und das wird auch offen zugegeben – ist es, Druck aufzubauen und einen Dominoeffekt auszulösen, der die Flüchtlinge zurück nach Griechenland oder sogar in ihre kriegsgeschüttelte Heimat spült. Aber werden sie dortbleiben? Oder werden sie – mit der Hilfe hochbezahlter Schlepper - andere Wege nach Europa suchen? Gut möglich, dass wir uns auf der oberbegrenzten Österreich-Couch ein paar Stunden ausruhen können. Aber wenn wir aufstehen – beispielsweise um uns ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen – werden wir knöcheltief im Wasser stehen.

Zweitens: Verlust der politischen Kultur. – Natürlich gibt es eine »faktische Obergrenze«. Wenn nämlich alle Flüchtlinge der Welt nach Österreich kommen, dann würde das tatsächlich nicht funktionieren - jedenfalls nicht gut. Andere Staaten müssen auch helfen. Das funktioniert aber in Europa bekanntermaßen nicht. Deshalb – so die äußerst begrenzt smarte Idee – müsse man durch nationale Obergrenzen Druck auf die EU ausüben, um eine europaweite Lösung zu erzwingen. Druck erzeugt Gegendruck und Schäden im System, aber keine tragfähigen Lösungen. Wer meint, politische Lösungen durch Druck und Gewaltmaßnahmen erreichen zu können, hat das Feld des politischen Dialogs bereits verlassen. Es gibt nur eine Alternative zu einer europäischen Lösung: Das Zerbrechen der Europäischen Union. Die Obergrenzen-Rhetorik leistet dafür einen nachhaltigen Beitrag.

Drittens: Verlust der Rechtskultur. - Mag sein, dass die von der Regierung eingesetzten Rechtsgelehrten nach einigem Biegen und Beugen eine Obergrenzen-Lösung formulieren, mit der wir uns aus den allergröbsten Rechtsbrüchen eine Zeitlang herausreden können. Dazu zählen auch unverfrorene Schlitzohrigkeiten wie: Wir bearbeiten Asylanträge halt einfach nicht. Mag sein, dass das gelingt. Aber damit werden wir dann nicht nur das Feld des politischen Dialogs verlassen haben, sondern auch das Terrain der Rechtskultur. Geradlinige Rechtsstaatlichkeit ist vermutlich die größte Kulturleistung der menschlichen Zivilisation. Kant bezeichnete mit unkonfessionellem Blick das Recht als »den Augapfel Gottes auf Erden«. Wenn europäischen Staaten ihre geradlinige Rechtskultur aufgeben, dann ist Europa nicht nur eine taumelnde Gemeinschaft, sondern als Gesellschaft im freien Fall - ins Bodenlose.

Mittwoch, 6. Januar 2016

Flüchtige Obergrenzen und österreichischer Schludrian

Die österreichische Politik ist uneins, ob Obergrenzen für Flüchtlinge eingeführt werden sollen. Die einen fordern es, die anderen sind empört und wieder andere entlarven es als nutzlose Scheinaktivität. Österreich wäre allerdings gut beraten, auf die Einführung von Obergrenzen zu verzichten. Dafür gibt es juristische, humanitäre und praktische Gründe. Aber der wesentlichste Grund ist tief in der österreichischen Mentalität verwurzelt. Österreich ist gerade nicht dafür bekannt, Regeln und Richtlinien konsequent umzusetzen.

Die einzige Logik, die eine Obergrenze haben kann, ist die der Abschreckung. Man verspricht sich davon, dass Flüchtlinge Länder mit Obergrenzen meiden. Doch bevor die Nachricht von einer Obergrenze Syrien, Afghanistan oder den Iran erreicht, sind die Menschen schon unterwegs. Rasch stehen mehr vor unserer Tür, als wir gemäß Obergrenze aufnehmen wollen.

Und jetzt wird’s österreichisch: „Na wegn de poar werd‘ ma a net zgrund gehen. De los ma a no eine. Ha, wos manst?“ Die nächste Kunde, die Syrien, Afghanistan oder den Iran erreicht, ist: Die Österreicher nehmen es mit der Obergrenze eh nicht so genau. Und so hätten wir den Schaden, den Spott – und ein paar Prozent mehr für die FPÖ bei den nächsten Wahlen.