Dienstag, 25. August 2015

Soll das Volk zurücktreten?

Wenn über Jahre Gewitterwolken am politischen Horizont aufziehen, die aber gerade noch weit genug weg sind, um nicht in eine Höhle flüchten zu müssen, - bei einem solchen Wetter also werden die Worte mitunter scharf, die Gedanken aber trübe und das Herz schwer. Wenn schon nicht die Politiker zurücktreten, denke ich mir, dann sollten doch wenigstens wir, das Volk, zurücktreten. Unsinn? Natürlich. Grober Unfug. Der Rücktritt des Bürgers ist nur möglich durch vollkommene Ignoranz oder Tod. Und nur letzteres gelingt allen. Aber bis dahin ist noch Zeit. Und diese will verbracht sein: freudvoll, sinnvoll, aufrecht. Und vielleicht hinter einem Blog, inmitten herumtanzender Tweets. Oder mit grimmigem Blick auf ein zu befüllendes Kommentarfeld. Oder auch nur mit zittrigem Finger, der einen Like-Button erreichen will.

Ich habe noch nie so viele Rücktrittsaufforderungen in meiner Timeline gelesen wie in den letzten Wochen. Auch ich selbst habe eine geschrieben. Zurückgetreten ist freilich niemand. Und es wird auch niemand tun. Nicht einmal wir, das Volk, werden zurücktreten. Was wird passieren? Was sollte passieren? Wir, das Volk, können nicht zurücktreten. Aber wir können und müssen antreten - als Politiker.

Komfortabel und lustvoll ist es ja schon: Bei Kaffee oder einem Glas Wein lasse ich meine Finger über die Tastatur gleiten und verteile im Netz mehr oder weniger gleichmäßig spitze, giftige und unglaublich gescheite Kommentare zur Politik in diesem Land – Rücktrittsaufforderungen inklusive. Sollte ich oder sollte man damit aufhören? Keinesfalls. Politik braucht Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Kritik. Und Politiker müssen das aushalten und auch wollen.

Nur eines – und das wird mir gerade in den Tagen der Flüchtlingsdiskussion schmerzlich bewusst – eines darf nicht sein: dass ich es dabei bewenden lasse, dass ich im Wohlgefühl, doch eh das Richtige irgendwo gesagt zu haben, am Sofa einschlafe. Ich muss mehr tun. Und damit meine ich gar nicht ein Engagement in der Sache selbst: Toilettenartikel oder Geld zu spenden, mich als Deutschlehrer zur Verfügung zu stellen oder einen Flüchtling zu Hause aufzunehmen. All das ist wichtig, richtig und bis zu einem gewissen Grad auch menschliche Pflicht.

Aber ich meine etwas Anderes. Ich rede von einem Engagement im politischen System, in den Institutionen, in den Organisationen, in den Gremien und Ausschüssen. Soll das etwa heißen, dass ich jetzt mit einer Vorfeldorganisation Kontakt aufnehmen soll, um mich dann durch die Bezirks- und Landesinstanzen durchzubeißen, bevor ich Bundeskanzler oder gar Präsident werden und alles besser machen kann? Ja, das soll es heißen. Aber das geht sich doch nie aus! Und außerdem ist die Politik ein dermaßen schmutziges, opportunistisches und den Charakter korrumpierendes Geschäft, dass ich dafür doch nicht mein Leben aufs Spiel setze. Das überlasse ich lieber den Selbstdarstellern dieser Republik. Ach ja?

Freilich, die wenigsten erreichen ein Nationalratsmandat. Fast niemand wird Minister, Bundeskanzler oder Präsident. Aber irgendwo in den Kaskaden, Nischen und Hinterzimmern des republikanischen Apparates muss ich meinen Mund aufmachen und Verantwortung übernehmen, wenn ich mich und meine politische Haltung ernst nehmen möchte. Was wird geschehen? Was werde ich tun? Jedenfalls bleibt es, bis das entscheiden ist, ein wunder und immer wieder schmerzender Punkt in meiner bloß politisch-rhetorischen Tatkraft, die mir – bei aller berechtigen Kritik – Respekt für jene Menschen abringt, die politisch tatsächlich etwas tun.

Donnerstag, 6. August 2015

Helfen ohne Herz.

Das ist ein Denkversuch, kein Plädoyer. Es geht, wie so oft in diesen Tagen, um die Flüchtlingsfrage. Kann da in der veröffentlichten und geposteten Meinung bloß die Herzensgüte gegen den blindwütigen Hass antreten? Einer der Dreh- und Angelpunkte dieser rechtspopulistisch verwahrlosten Diskussion ist beispielsweise das Wort »Gutmensch«, ein durch und durch widerwärtiger und denunzierender Begriff. Ich denke aber, dass man diesem Thema jede Emotion entziehen kann und noch immer zum Ergebnis kommen würde, dass es sinnvoll und notwendig ist, Flüchtlinge aufzunehmen, und zwar im eigenen Interesse. Man braucht dazu keine Empathie und Herzensgüte. Es genügt, einigermaßen bei Verstand zu sein - die Realität zu kennen und folgerichtig denken zu können.

Stellen wir uns vor, wir würden die Grenzen dichtmachen, Mauern errichten und alle Flüchtlinge so gut es geht von Österreich fernhalten. Gut, die Menschen ziehen weiter. Vorerst. Sie klopfen an die Tore anderer Länder. Doch diese haben die Türen auch geschlossen, sie haben Mauern gebaut und versuchen jeden Flüchtling so gut es geht fernzuhalten. An dieser Stelle ist anzumerken: nur grandios realitätsferne Menschen würden glauben, dass die Flüchtlinge nun nach Hause zurückkehren. Auf Geister dieser Art würde eine Bemerkung von Alexander von Humboldt gut passen, der meinte: »Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.«

Die wenigsten würden heimkehren. In ihrer Not würden sie lernen, die aufgebauten Mauern zu überwinden. Gut, bauen wir höhere Mauern. Menschen in Not lernen rasch. Bald überwinden sie auch diese. Wir bauen weiter, immer höher und höher. Und irgendwann werden wir so viel Geld für Mauern ausgegeben haben, dass das Land dahinter vollkommen verwahrlost und verarmt ist. Es will gar niemand mehr kommen. Die Mauern sind unnütz. Aber wir, wir würden jetzt gerne fluchtartig unser Land verlassen. Wird uns jemand aufnehmen?


Wie gesagt: ein Denkversuch, kein Plädoyer. Wir können - wenn wir nur diszipliniert genug sind - ohne Emotion diskutieren. Aber wir können nicht ohne Empathie und Herzensgüte leben. Neben Klarheit im Denken sind Empathie und Herzensgüte die tiefsten Wurzeln eines gelingenden Lebens. Das Herz hilft uns, wenn wir den Verstand verlieren. Am besten nutzen wir beides.