Donnerstag, 30. Januar 2014

Pablo Neruda - Dichtung und Politik

 
Drei Wochen in Chile haben mich Pablo Neruda näher gebracht. Eigentlich das erste Mal. Bisher hatte ich da und dort einen Vers gelesen und manches über ihn: Neruda der Kommunist, Neruda der Nobelpreisträger. Mehr Lexikonwissen als echter Eindruck. In Chile las ich ihn nun zum ersten Mal. Las ihn wirklich, langsam. Dass man beides - Dichter und Politiker - in so reiner Form sein kann, erstaunte mich. Ich hielt es für unglaubwürdig. Denn auf den ersten Blick widerspricht es einander. Auch auf den zweiten. Aber ich las weiter und gewann Vertrauen. Wir sollten ihn öfter lesen. Hören wir ihm jetzt ein paar Augenblicke zu, entlang seiner Memoiren »Ich bekenne, ich habe gelebt.«
 
»Der Dichter darf sich nicht vor dem Volk fürchten.«
 
Und viele Stunden später heißt es:
 
»Ich will in einer Welt ohne Exkommunizierte leben. Ich werde niemanden exkommunizieren. Ich werde morgen auch nicht zu dem Priester sagen: ‚Sie können niemanden taufen, weil sie Antikommunist sind.‘ Ich würde auch nicht zu dem Nächsten sagen: ‚Ich werde Ihr Gedicht, Ihre Schöpfung nicht drucken, weil Sie Antikommunist sind.‘ Ich will in einer Welt leben, in der die Menschen nur menschlich sind, ohne jeden anderen Titel als diesen, ohne sich eine Regel in den Kopf zu setzen, ein Stichwort, ein Etikett. Ich will, dass man alle Kirchen betreten darf, alle Druckereien. Ich will, dass man niemanden mehr vor dem Bürgermeisteramt auflauert, um ihn festzunehmen oder auszuweisen. Ich will nicht, dass einer per Gondel fliehen muss, dass einer auf dem Motorrad verfolgt wird. Ich will, dass die große Mehrheit, die einzige Mehrheit, dass alle reden können, lesen, hören, gedeihen. Ich habe den Kampf nie anders verstanden, als dass er ende. Ich habe die Strenge nie anders verstanden, als dass es keine Strenge mehr gebe. Ich habe einen Weg gewählt, weil ich glaube, dass dieser Weg uns alle zu dauernder Freundlichkeit führt. Ich kämpfe für diese allgegenwärtige, ausgreifende, unerschöpfliche Güte.«
 
»Es ist wahr: die Welt wäscht sich nicht rein, von Kriegen und von Blut, sie legt den Hass nicht ab, es ist wahr. Es ist aber gleichfalls wahr, dass allmählich eines offenkundig wird: Die Gewalttäter erblicken sich im Spiegel der Welt, und ihr Gesicht ist nicht einmal für sie selber schön.
Ich glaube nach wie vor an die Möglichkeit der Liebe. Ich habe die Gewissheit, dass die Verständigung zwischen den Menschen möglich ist über Schmerzen hinweg, Blut und zerbrochenen Scheiben.«